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6. Tag

6. Tag

Mit ungewohnt leichtem Rucksack lasse ich mich am Morgen von Pauline nach Broad Haven fahren. Einmal mehr strahlt der Himmel in sattem blau und lässt wettertechnisch keine Wünsche offen. Ich kaufe im kleinen Dorfmarkt noch mein Mittagessen und Pflaster ein. Heute wandere ich wieder in den Sandalen, da ich nur noch mit sehr viel Mühe und Schmerzen in meine Wanderschuhe hineinkomme.

Einmal mehr bin ich tief beeindruckt von der wunderbaren Landschaft, all den schönen Buchten und Sandstrände! Mein Brustkorb scheint zu klein zu sein, um all die Berührt- und Dankbarkeit in sich aufnehmen zu können. „Oh, liäb Gott, ich dankä diär so vo Härzä, dass ich das auäs hiä darf erläbä!“ Tränen kullern mir die Wange herunter… ich setze mich für einen Moment hin und geniesse einfach.

Am Nachmittag komme ich in Martin’s Haven vorbei. Von ihr aus fahren Boote auf eine Insel, auf der es seltene Vögel zu besichtigen gibt. Ich wusste davon nichts, oder besser gesagt, ich wusste nicht, dass diese Fahrten von hier aus angeboten werden. Man muss sich im Vorfeld anmelden – ich ging davon aus, dass es ziemlich touristisch sein wird und es einfach sei, einen Platz auf einem Boot zu ergattern. Dem ist nicht so, die Fahrten sind auf längere Zeit ausgebucht. Nun gut, ich sehe auch so noch genügend Tiere. Da gerade ein Boot angelegt hat und Leute aussteigen, bleibe ich stehen und beobachte die verschiedenen Menschen. Spannend 😉.

Da mein Rucksack heute so leicht ist, komme ich einiges schneller voran, ich hüpfe schon fast von Stein zu Stein und fühle mich frei – wie ein kleines Kind oder ein Vogel.

Am späteren Nachmittag komme ich in West Dale an. Hier schreibe ich Pauline, wo ich bin und dass ich auf sie bei der Strasse warten werde. Ich muss nur noch eine kleinere Klippe erklimmen. Oben angekommen, sehe ich, dass es einen Weg quer übers Land in ein Dörfchen gibt – ich schaue auf Google Map, um welches Dörfchen es sich denn hier handelt. Ooohhh je…. Das ist Dale, ich wäre also mühelos selbst dahin gekommen.

Als Pauline und John kommen, lachen wir zu Dritt, selbst John, der schon hier gearbeitet hat, wusste nichts von dem Weg. John schlägt vor, dass wir die Spitze, die ich nicht gelaufen bin, mit dem Auto erkunden. Es gibt da Leuchttürme, welche sich heute in Privatbesitz befinden. Wir steigen aus und laufen soweit wir dürfen umher. Pauline gesteht mir ein, dass sie noch nie hier war. Ich bin perplex, sie wohnen so wenige Autominuten von dieser Landschaftspracht entfernt – und doch ist sie noch nie dagewesen! Doch bei uns in der Schweiz ist es ja auch so: das, was wir direkt vor der Haustüre haben, kennen viele nicht. Manch ein Luzerner war noch nie auf dem Pilatus, oder meine Mutter, gebürtige Buochserin, noch nie auf dem Buochserhorn… Dies stimmt mich nachdenklich.

Später bringen mich die beiden in meine „neue“ Unterkunft. In einem hübschen Häuschen am Rande des Städtchens beziehe ich ein gemütliches Zimmer. Nebst mir übernachtet noch ein Paar aus Nordengland.

Ich verabschiede mich herzlich von Pauline und John und will Ihnen endlich noch mein Zimmer bezahlen. Doch John will kein Geld von mir, er dankt mir für meinen Besuch und die guten Gespräche. Pauline meint, ich sei nun eine Freundin von ihnen und von Freunden nehmen sie kein Geld. Wow! Wieder bin ich sprachlos, ob wir Schweizer auch so handeln würden? Auf jeden Fall lade ich die beiden ein, mich in der Schweiz zu besuchen. John sagt:“ Ich reise nicht, aber ich schicke dir Pauline.“
















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